Mano a mano   

Morante – José Tomás  10. August 2008

Die taurinische Welt hatte sich auf die „Corrida del Siglo“ gefreut, für die entradas wurden Höchstpreise gezahlt. Unsere Karten hatten das Fünffache des normalen  Eintritts gekostet und waren etwa jeweils so teuer wie eine Entrada Barrera Sombra. – Tage vorherverhielten sich vor der Plaza  die Wiederverkäufer wie die Broker an der Börse. Von der Polizei, die angeblich den Missbrauch verhindern sollte, war nichts zu sehen. – Die Regionalpresse Andalusiens brachte jeden Tag Artikel und Kommentare zu dem mano a mano de los figuras mas grandes am 10. August 2008. Der Leser erfuhr nichts Neues mehr, aber die Erwartungen steigerten sich durch die Wiederholungen des Bekannten. Morante de la Puebla: El más valiente de los artistas; José Tomás: El más artista de los valientes.Wer hätte schon vorher gewagt zu warnen: „Corrida de expectación – corrida de decepción!“??

Die Presse am Tag danach: „El sueño que se tornó  pesadilla“ betitelte z.B. ABC den Kommentar von Zabala de la Sierna, eine Elegie, eine Klage, zu der ein Trauerrand passen würde.

„El fiasco del año“ war der Titel von Antonio Lorca in EL PAÍS. Lorca ist ein scharfzüngiger Kritiker, manchmal – wie ich finde - auch ungerecht. Aber in diesem Fall war er sachlich, „unparteiisch“ (wobei keine Parteinahme in Bezug auf ein potentielles „Duell“ der beiden Toreros gemeint ist). Er hat den Ablauf des Geschehenen so beschrieben, wie ich es auch erlebt habe. Seine Ironie – der „running gag“ mit den nicht kooperierenden Stieren – verletzte nicht  die beiden Toreros, die auf ihre Art ihr Bestes zu geben versucht haben. Lorca witzelte, dass keiner daran gedacht hätte, die Stiere zuvor auf die immense Bedeutung ihres Auftretens  einzuschwören, z.B. so: „Señores, a ver si nos comportamos, que vienen a triunfar Tomás y Morante y hay que embestir“.  -  Im Publikum auf der Sonnenseite, wo wir im Tendido saßen und von den später Kommenden geschubst und gestoßen wurden, herrschte mehr Dorfcorrida-Stimmung. Manche Männer hatten sich schon vorher in die richtige Stimmung getrunken.   Aber auch manche Frauen wirkten hysterisiert und berauscht. Der Einzug der Toreros, der Paseillo ging im Gekreisch und hinter dem Rücken der vor uns Platz Suchenden unter. Der Händedruck – ausgegangen von Morante – war knapp, fast wie ein Omen, steril, kühl. Das durchzog den Nachmittag, obwohl das Publikum alles dransetzte, die Toreros anzuregen, anzufeuern mit ihren Erwartungen. Tomasistas und Morantistas ließen sich an ihren Reaktionen in unserer Umgebung gut unterscheiden.

Der erste Stier ließ ein Brillieren mit der Capote für JT nicht zu. Alle sechs Tiere waren schnell, unruhig, wendeten ihren Kopf hin und her und wirkten wie hyperaktive Kinder, die hier und da etwas anfangen, hierhin und dorthin rennen und sich nicht einer Sache widmen können.

 

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Die faena mit dem ersten Stier nahm einen guten Anfang, das Publikum begleitete JTs pases begeistert, die Musik spielte den Pasodoble „Manolete“. So hatte man sich den Nachmittag gewünscht. Aber JT – als er einen Wechsel mit der Hand vor dem Gesicht des Stiers vornahm, wurde hochgenommen und geriet unter den Stier.

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Vielleicht stockte nicht allen der Atem, aber die Angst verlor sich bei mir nicht mehr. JT, wie üblich, schaute nicht an sich herunter, ließ auch später keinen seiner „Compañeros“ nachschauen, machte weiter. Wir sahen Blut an seinem Hinterteil, wo die Hose zerrissen war. Wir sahen Blut in seiner Achselhöhle. Sein weiteres Verhalten aber machte uns glauben, es sei das Blut des Stiers und nicht – wie wir später erst erfuhren – sein eignes. Er legte vermutlich keinen Wert darauf, durch seine Verletzung die „Gunst“ des Publikums zu gewinnen. Verständlich aber wurde dann für uns auch erst später, dass zwischen den beiden Toreros keine Gemeinsamkeiten möglich wurden, wie ein Anbieten von Quites. Ich erinnerte mich, dass einige Blogger davon geträumt hatten, dass sich Morante und JT die banderillas zuspielen. –  Was für Hoffnungen sind bei manchen Zuschauern wohl geplatzt? – Morante, dessen Lichterkleid (fliederfarben bzw. malvenfarben) mir fast zu düster-triste für einen heißen andalusischen Nachmittag erschien, setzte alles daran, nicht zu enttäuschen, dem Publikum seinen Triumph zu schenken. In anderen Situationen hätte er mit Stieren, die so wenig Lust zur „Mitarbeit“ zeigten, kurzen Prozess gemacht, weil sie seine „Zuwendungen“ nicht verdienen?! –

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Und wenn er nicht mit dem Schwert Pech gehabt hätte, hätte er bestimmt Trophäen erhalten. Die faena mit seinem zweiten Stier brachte ihm am Ende allerdings eine besondere Würdigung ein: Der Cantaor

Manuel Orta sang aus dem Sonnen-Tendido einen Fandango auf Morante de la Puebla, der alle sehr anrührte und begeisterte. Mir wäre Diego El Cigala noch lieber gewesen, aber so waren alle auch sehr dankbar für diese Einlage.

 

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Morante bedankte sich mit besonders schönen passionierenden muletazos, aber auch hier keine estocada für Trophäen. – Dann der dritte Stier mit JT. So wie zuvor die Gaoneras, jetzt die Chicuelinas, nicht von der Qualität und Üppigkeit, wie ich sie bei JT letztes Jahr im Juni und September in BCN und dieses Jahr am 5. Juni erlebt hatte. Spätestens jetzt war zu merken, dass etwas nicht stimmte. Gut, beide Toreros standen unter höchster Anspannung, aber JTs Gesicht bekam den Ausdruck von unterdrückter Verzweiflung. Schon beim zweiten Stier wirkte sein Arm bei den verfehlten descabellos schwach, kraftlos. –

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Und das Publikum setzte seine letzte Hoffnung nun auf den letzten Stier von José Antonio Morante. Der aber war gar nicht mehr im callejon zu sehen. Über Megaphon wurde mitgeteilt, dass er problemas respitatorios behandeln ließe in der enfermería und es eine Unterbrechung von 10 bis 15 Minuten gäbe. – Das Publikum, das ihm so zugejubelt hatte, war irritiert. Hatte er zu viele Puros geraucht oder einen akuten Anfall von Angst, redete man. In der Wartezeit schaute ich mit dem Fernglas auf den Callejon. JT stand totenbleich und todernst mit gefalteten Händen auf die Holzplanken gestützt und legte ab und zu erschöpft seinen Kopf auf die Hände. Es sah aus, als wenn er beten (JT ist allerdings Agnostiker!) würde, dass er nun nicht auch noch den letzten Stier von Morante töten müsste.  Alles hatte eine graue Farbe angenommen. Morante kam zurück, wurde freudig begrüßt, aber auch er rettete den Nachmittag nicht vor der Enttäuschung, die sich ausgebreitet hatte.

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Zuletzt riefen noch einige nach einem „sobrero“, einem Ersatzstier. Aber wer hätte den noch wirklich mit Einsatz-Freude annehmen können? Zwei völlig entleerte, erschöpfte Toreros? – Sie taten mir unendlich leid. – Und manchen der Zuschauer-Aficionados  hinterher stand die Fassungslosigkeit im Gesicht geschrieben. Andere ließen sich die Feierlaune nicht nehmen und krakeelten weiter. An der Puerta Grande wurde nach Prominenten Ausschau gehalten. Wir ärgerten uns über eine Auto mit grüner Nummer, das mitten durch die Menge fuhr und beklatscht wurde, weil angeblich Finito de Cordoba drin saß.

Warum hatte Morante Probleme mit der Atmung? Ich dachte mir, dass er vielleicht gesehen hat, wie schwer die Verletzungen von JT waren, der sich nicht helfen ließ. Vielleicht hat er die Angustia gefühlt, die Enge um die Brust, nicht aus Angst um sich, sondern aus mitfühlender Angst um oder mit dem anderen Torero. Wer weiß das schon?

© Photos: Hans-Jürgen Döpp