Das Eingangs-Foto zeigt das Grabmahl von Joselito (1895 – 1920) auf dem Friedhof San Fernando in Sevilla, in dem viele unvergessene Stierkämpfer, aber auch Flamenco-Musiker beerdigt sind. Joselito galt als „Wunderkind" des Stierkampfs und starb als junger Mann mit 25 Jahren durch einen tödlichen Hornstoß. Er stammte aus einer Familie, die viele Toreros hervorgebracht hatte, auch seinen berühmten Bruder Rafael El Gallo (1882 – 1960). Die auf dem Foto den Sarg tragen und ihn begleiten, sind Angehörige und Berufskollegen, u.a. sein Schwager Ignacio Sánchez Mejías, der Mann seiner Schwester Lola.

 

Ignacio Sanchez Mejías (ISM),            

geboren am 6.Juni 1891, gestorben am 13.August 1934 an den Folgen von Verletzungen, die ihm ein Stier namens Granadino zwei Tage zuvor in der Stierkampfarena von Manzanares zugefügt hatte. Dank Dr. Fleming und seinem Penicillin müsste heute im Gegensatz zu damals kein Torero an einer ähnlichen Wunde sterben. ISM bestand darauf, sich nicht in der Provinz, sondern in Madrid, operieren zu lassen, obwohl der dort praktizierende befreundete Chirurg - mitten im Ferienmonat August  – nicht telefonisch zu erreichen war. Auf dem Weg gab es Verzögerungen: Der Ambulanzwagen hatte einen Unfall, man verfuhr sich. Die Hitze Zentralspaniens setzte dem Verletzten, der einen hohen Blutverlust erlitten hatte, zu. Der für seine außerordentliche Tapferkeit bekannte Torero bewahrte auch hier trotz seiner Schmerzen Contenance, er rauchte und plauderte mit seinen Begleitern, scheinbar guter Dinge. Doch die ärztliche Behandlung in Madrid kam zu spät, er starb im Alter von 43 Jahren. Beigesetzt wurde er in Sevilla auf dem Friedhof San Fernando im Mausoleum von Joselito.

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DANIEL VÀZQUES DIAZ; Ignacio Sánchez Mejias

Der Tod eines Toreros in der Begegnung mit dem Stier sichert ihm einen besonderen Platz in der geschichtlichen Erinnerung. Die durch einen Stier getöteten Toreros werden aufs höchste idealisiert und verehrt als Helden mit engelhaften Attributen. Man errichtet ihnen zu Ehren monumentale Denkmäler an zentralen öffentlichen Plätzen und bei den Stierkampfarenen. Aber auch in der Musik und Literatur wird das Leben des toten Toreros posthum verherrlicht und sein Tod verklärt.

Federico García Lorca hat mit seiner Totenklage, dem Gedicht „Llanto por Ignacio Sanchez Mejías", dem Torero zu einem Denkmal der Unsterblichkeit verholfen. Unvergessen ist er bei den Spaniern auch heute noch, nicht nur bei Anhängern des Stierkampfkults, den „aficionados". Ignacio Sánchez Mejías gehörte zur Gruppe der Poeten und Autoren der Generation „27". Er war mit vielen Literaten und Künstlern, auch Musikern befreundet und  galt als großzügiger Förderer und Mäzen der Künste, z.B. auch auf dem Gebiet des Flamenco. Er hatte selber einige Theaterstücke geschrieben. Sein erstes, „Sinrazón" Unvernunft - (1928), spielt in einem Irrenhaus (wofür es zur damaligen Zeit keine politisch korrekte alternative Bezeichnung gab) und ist inspiriert von der damals noch jungen Psychoanalyse Sigmund Freuds. Eine Zeitlang schrieb ISM Zeitungsreportagen über Stierkämpfe, angeblich sogar über seine eigenen. Außerdem war er 1929 zu einer Gastvorlesung an der Columbia-University in New York eingeladen. Er hielt vor den jungen amerikanischen Spanisch-Studenten jedoch keinen Vortrag über die Technik des Stierkampfs, sondern über dessen philosophische und symbolische Aussagekraft. Nach Andrés Amorós` Biographie lautete ISM´s Einstieg in die Vorlesung: „Vamos a hablar de Tauromaquia que es la escencia del toreo y del toreo que es la ciencia de la vida." ISM war also nicht nur ein ungewöhnlicher Stierkämpfer, sondern auch ein außergewöhnlicher Mensch und Mann. Er galt als Bonvivant, der die Frauen faszinierte und verführen konnte und der – wie Ian Gibson anmerkt - „auch Gefallen an hübschen jungen Männern fand". Seit 1927 lebte er nicht mehr mit seiner Frau Lola zusammen. Seine langjährige Geliebte war Encarnación López Júlvez, eine Flamencotänzerin mit dem Künstlernamen „La Argentinita". Federico García Lorca widmete ihr übrigens das Gedicht auf den Tod seines Freundes Ignacio Sánchez Mejías. Erwähnenswert ist hier, dass es – lange Zeit nur auf Shellak-Platte, inzwischen aus Anlass von Lorcas 100. Geburtstag endlich auf CD – eine Aufnahme mit spanischen Volksliedern aus dem Jahr 1931 gibt, auf der Lorca „La Argentinitas" Gesang und Castagnettenspiel auf dem Klavier begleitet.

Auch mit der französischen Hispanistin Marcelle Auclair verband den Torero über längere Zeit eine leidenschaftliche Liebesaffäre, über die sie später in einer Biographie berichtet.

Es ist überaus interessant, die vielfältigen facettenreichen Querverbindungen und Verschränkungen zwischen seinem Leben als Torero, als Schöngeist und Intellektueller zu verfolgen. In Jan Gibsons Biographie über Federico García Lorca findet ISM häufig Erwähnung, denn sie waren eng befreundet und teilten viele Interessen. Lorca konnte man nicht unbedingt einen „aficionado" des Stierkampfs nennen. Ob er jemals einem Stierkampf zugesehen hat, ist ungewiss. Als Spanier, besonders als Andalusier jedoch kann man sich der allgegenwärtigen Welt der Stiere, dem Stierkampfkult  nicht entziehen. Lorca sah – ähnlich wie im Flamenco - im Stierkampf das authentische, ursprünglich-archaische andalusische Element Ganz besonders aber faszinierte ihn das Spiel mit dem Tod. In der Konfrontation zwischen Stier und Mensch ist der Tod nicht wegzudenken; während der Mensch der Todesgefahr ausgesetzt ist, erleidet der Stier mit Sicherheit den Tod. Gibson erwähnt Lorcas „obsessive Angst" vor dem Tod, aufgrund derer Lorca unter dem Zwang gestanden habe, wiederholt „seinen eigenen Tod und sein Begräbnis zu inszenieren". Dass Lorca einmal während des Karnevals in Granada durchaus überzeugend einen tödlich verletzten Torero mimte und sich bluttriefend von Freunden durch die Straßen tragen ließ, bis er zur Erleichterung der erschrockenen Passanten lachend „auferstand", entbehrt nicht der Komik. Den Versuch, im spielerischen Agieren Angst zu bewältigen, kennen wir vom Kinderspiel. Und Lorca war ein hervorragender Schauspieler.

Es wurde Ernst mit dem Tod, als Ignacio Sánchez Mejías im Sterben lag. Lorca war nicht in der Lage, seinen sterbenden Freund zu besuchen. Fürchtete er, von der eigenen Todesangst überwältigt zu werden oder in die Depression abzustürzen? Gibson spricht von einer untergründigen Melancholie Lorcas im Zusammenhang mit seiner Homosexualität. Denkbar wäre bei einem hochsensiblen Künstlercharakter wie Lorca auch, dass sein Verhalten einer Tendenz zu angsthysterischen Überreaktionen entsprach.

Jeder der beiden so unterschiedlichen Männer reagiert mit Abwehr auf die Vorstellung von Sterben und Tod. Sánchez Mejías Ruhm und Popularität als Torero war weniger seiner Technik als seiner enormen Tapferkeit gegenüber dem Stier zuzuschreiben. Obwohl es ihm dabei jedoch nicht um leichtfertige Effekthascherei ging, erreichte sein Mut oft Dimensionen von Tollkühnheit, die als Todesverachtung zu bezeichnen wären. Er liebte die Herausforderung und provozierte mit Lust, auch mit verbalem Witz. Eine bis heute kolportierte Anekdote - veröffentlicht in der Zeitschrift AplausoS-  kann als Beispiel dienen: Einige Tage vor seinem Tod herrschte in Cadiz, wo er mit Stieren in der dortigen Arena kämpfen sollte, starker Levante – ein unangenehm heißer, Sand mit sich führender Wind, der bei den Toreros gefürchtet ist, weil dieser Wind ihre Arbeit mit den Tüchern  behindert und und sie für den Stier angreifbar macht. Aus den Zuschauerreihen wird der Torero vor Beginn seines Kampfes durch Zuruf von einem „aficionado" gewarnt: „Gib auf den Wind Acht, Ignacio!" Die Antwort des Toreros: „Wer sich in Acht nehmen muss – vor mir – ist der Wind!" Auch wenn es sich hier nur um eine eher scherzhafte, mit Größenvorstellungen kokettierende, Reaktion handelt, erkennt man die Neigung, Gefahren auf lässig-saloppe und männlich-überhebliche Weise herunterzuspielen. Ebenso gelang es ihm in den letzten Tagen bzw. Stunden seines Lebens die ihn umgebenden Menschen dazu zu bringen, wenigstens vorübergehend seine Verleugnung der zunehmenden Schwäche und Todesgefahr zu teilen. Mit weltmännischen Gesten negierte er die eigene Todesangst und tröstete so u.U. sich selbst, auf jeden Fall aber die Menschen seiner Umgebung.

Federico García Lorcas oben problematisierte und seiner Verdrängungstendenz zugeschriebene Weigerung, den tödlich verletzten Ignacio Sánchez Mejías zu sehen, findet man widergespiegelt im zweiten Teil seiner Totenklage, der überschrieben ist: „Das vergossene Blut". Das Blut, das er nicht ertragen kann, weil es das Sterben symbolisiert, beschwört Lorca mit dem wiederholten Aufschrei „Que no quiera verla!" (Nein, ich will es nicht sehen!). Dieser appellative Ausruf zieht sich wie ein Refrain durch den zweiten Teil seines Toten-Gedichts, das hier im Kontext eindrucksvoller surrealistisch anmutender Bilder zu einer verklärenden Eloge des Verstorbenen gerät.

Die von Enrique Beck stammende deutsche Übersetzung des Llanto por Ignacio Sánchez Mejías" wirkt auf uns stellenweise kitschig bis schwülstig. Aber auch Lorcas Original mutet in seiner ausschweifend-phantastischen Symbolik ungewohnt pathetisch an. Uns befremdet das Pathos und das kultische Erhabenheitsvokabular, das im Zusammenhang mit dem Stierkampf auf dem Hintergrund seiner Tradtion und des Katholizismus auch heute immer wieder zu finden ist. Die Aficionados neigen zu phantasievollsten, ans Hymnische reichenden Elogen, wenn sie eine gute Corrida oder die große Leistung eines Toreros beschreiben.

Auch die Nähe zum Tod lässt die pathetischen Elemente verständlich werden von Lorcas Gedicht auf ISM:

Der einleitende Teil, „Hornstoß und Tod", gleicht einer Ouverture. Der Dichter konfrontiert uns mit seiner Fassungslosigkeit über die Tragödie, die sich „Am Nachmittage um fünf Uhr" – im Original „a los cinco de la tarde" ereignet. Diese acht Silben, die auf den traditionellen zeitlichen Beginn des Stierkampfs anspielen, werden eindringlich monoton skandiert. Sie gleichen dumpfen Trommelwirbeln, wie man sie aus den Prozessionen der Semana Santa kennt, sind Ausdruck der Benommenheit über das, was geschehen ist, aber noch nicht akzeptiert werden kann. Unerbittlich-unabhänderlich heißt es in den ersten Gedichtzeilen: „Und da war Tod, nichts als Tod". Über die endlose Wiederholung des Refrains „A las cinco de la tarde" gräbt sich das grauenvolle Ereignis rhythmisch-unausweichlich dem Bewusstsein ein. Damit werden unerträgliche, assoziative Bilder vom Sterben des Toreros zur schmerzlich-realen Gewissheit: „..ein Schenkel mit trostlosem Horn ... ein Sarg mit Rädern, das Bett... Das Zimmer erschillert´ vor Todkampf ...Von weither kriecht schon der Wundbrand...Die Wunden brannten wie Sonnen am Nachmittage um fünf Uhr"....

Der Refrain wird am Schluss des ersten Gedichtteils abgewandelt:

„Ach, welch gräßliche fünf Uhr nach Mittag!

Auf allen Uhren war´s fünf Uhr.

In des Nachmittags Schatten war´s fünf Uhr!"

( Die Begegnung mit dem Tod hat in Spanien einen festen Termin: Fünf Uhr nachmittags! Obwohl längst nicht mehr alle Stierkämpfe um diese Tageszeit beginnen, symbolisiert sie den traditionellen Stierkampfbeginn. Jahreszeitlich-klimatische sowie insbesondere kommerzielle Rücksichten haben Abweichungen zur Folge. Stierkämpfe finden bei Flutlicht, auch mitten in der Nacht, statt. Kommt der Tod ins Spiel, wird ein Torero lebensgefährlich verletzt, gilt der Nachmittag als Metapher für den Beginn der Tragödie.)

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